Frei nach dem Mümliswiler Schriftsteller J.B. Scherr, der die Lobisei-Sage
erstmals 1858 für den "Solothurner Kalender" aufschrieb.
Wenn der Wanderer auf der Strasse von Balsthal nach Mümliswil die Ruinen
des alten Schlosses Falkenstein, des einstigen Stammsitzes der Freiherren
gleichen Namens, hinter sich hat, so gelangt er nach wenigen Schritten
in einen romantischen Bergkessel, durch den sich die Strasse in mannigfachen
Krümmungen hinwindet. An heiteren Sommerabenden, wenn die scheinende Sonne
die Kalkfelsen vergoldet, gibt es keinen angenehmeren Spaziergang, als
diesen Weg.
Aber schaurig ist's in nächtlicher Stunde das Lobisei zu durchwandern,
wenn aus dem nahen Forst des Uhus Klageruf ertönt, wenn die krüppelnden
Kiefern an den Felswänden geisterhafte Schatten werfen und wenn der Wind
sonderbare Töne hervorbringt, bald wie das Hohngelächter der Hölle. Mehr
schon als ein nächtlicher Wanderer hat, von unwillkürlichem Grauen erfasst,
seinen Schritt verlängert, um schnell aus diesem unheimlichen Treiben
herauszukommen. - Früher trieben hier überirdische Wesen ihren nächtlichen
Spuk, aber noch heute lebt die vom "Lobisei-Tüfel".
Der Abhang auf der Sonnenseite, zwischen den Felsen und dem Bache gehörte
früher zu einem grossen Sennhofe. Hier wirtschaftete in behaglichem Wohlstande
der "Lobisei-Senn". Sein Viehstand nahm zu, wie keiner rings herum, und
alljährlich boten schwerbeladene Obstbäume köstliche Früchte. Allein -
statt zufrieden zu sein mit dem Segen des Herrn, öffnete der Lobiseier
sein Herz dem Teufel der Habsucht und jagte in unersättlicher Gier nach
zeitlichem Gut.
Eines Morgens war der Senn allein zu Hause, mit der Bereitung des Käses
beschäftigt. Seine Hausgenossen arbeiteten auf dem Feld.
Da erschien ein fremder Metzger auf der Schwelle der Käsküche und fragte
freundlich grüssend nach fettem Schlachtvieh. Bereitwillig führte ihn
der Senn in die gefüllten Ställe, um etwas Geeignetes herauszufinden.
Der Metzger trug eine schwere Geldkatze um den Leib, die schon bald die
lüsternden Blicke des Sennen auf sich zogen.
Wie nun der Fremde sich niederbückt, um mit kundiger Hand die Weichen
eines zu prüfen, - da erfasst die Faust des Lobiseiers mit Blitzesschnelle
einen nahestehnden Melkstuhl, und vom tödlichen Schlage getroffen, sinkt
der Metzger lautlos nieder. Kalt und verglast starrt das erloschene Auge
des Opfers seinen Mörder an, der nichts Eiligeres zu tun hat, als sich
des Geldes zu bemächtigen und die Leiche beiseite zu schaffen. In der
Nacht scharrt der Senn den Körper des Fremdlings in der Nähe des Mistes
ein und verwischt sorgfältig alle Spuren seiner grässlichen Tat. Viele
Jahre waren seit der grauenvollen Tat vergangen und längst wuchs Gras
über der Grabstätte des Ermordeten. Der Senn war alt geworden. Niemand
wusste etwas von dem Verbrechen. Der Senn selbst glaubte wohl, sein Geheimnis
ins Grab nehmen zu können; allein auch er sollte erfahren, dass gewöhnlich
schon hienjeden jede Schuld sich rächt.
Eines Tages war der alte Lobiseier damit beschäftigt, um den Mist herum
das Gras weg zu mähen. Eben mäht er über die Stelle, wo er einst den Erschlagenen
verscharrt, da trifft die Sense etwas Hartes. Der Senn bückt sich, um
den Stein, wie er glaubt, wegzuräumen. Aber kein Stein ist es - nein.
Aus dem Boden grinst ihn hohläugig ein menschlicher Schädel an und - der
Schädel blutet! Zitternd steht der Senn da. Er weiss, wem der Schädel
gehört. Kalter Schauder überläuft ihn. Heulend will er die Stätte fliehen,
aber wie festgebannt bleibt er stehen. Durch das Heulen herbeigerufen,
sammeln sich die Hausbewohner um den Mörder. Zähneklappernd zeigt ihnen
dieser den grinsenden, blutenden Schädel und gesteht zitternd den Mord.
Entsetzt hören die Leute die schreckliche Geschichte. Entsetzt blicken
sie den Mörder an, auf dessen Stirn sich Todesschweiss bildet. Ein heftiges
Fieber beginnt ihn zu schütteln. Man bringt ihn zu Bett, allein der Senn
überlebt en Tag nicht mehr. Nach wenigen Stunden haucht er seine mordbefleckte
Seele aus. Seither haben unsere Väter oft, wenn sie zu mitternächtlicher
Stunde durchs Lobisei heimzu gingen, die Klagerufe und Todesseufzer des
Gemordeten vernommen. Dieser unruhige Geist tat niemand etwas zuleide.
Anders aber verhielt es sich mit dem Geist des verruchten Mörders, der
unstet die Schluchten des Lobiseis durchrennend, grausige Töne ausstossend,
jedem lebenden Wesen feindlich gesinnt war. Oft packte er sturmwindartig
harmlose Wanderer und stiess sie unter Hohngelächter in den kalten Bach.
Auch legte er sich in Gestalt eines grässlichen Untiers quer über die
Strasse oder durchirrte die Ställe des Sennhofes und würgte das schönste
Rind.
Oft trafen aber auch die beiden Schemen aufeinander, in Gestalt zweier
feuriger Kugeln. Dann entbrannte eine Kampf, dass die Funken weit umherstoben,
die die Nacht taghell erleuchteten.
Manchmal wenn es die Geister allzu arg trieben, liessen die Besitzer des
Sennhofes Patres Kapuziner aus dem Kloster in Olten kommen, die den Spuk
bannen sollten. Doch es half nicht viel; von Zeit zu Zeit brach der "Lobisei-Tüfel"
wieder los. Erst mit dem Einzug der Franzosen in die Schweiz, die bekanntlich
alles derartige Zeug mit sich fortnahmen, hörte das Unwesen auf.
Heute ist den Sennhof im Lobisei niedergerissen. Der Boden ist verkauft
und verteilt. Und wenn auch etwa einer - wie es hie und da geschieht -
in Balsthal ein Glas zu viel getrunken hat und auf dem Heimweg frech den
"Lobisei-Tüfel" herausfordert, er erscheint nicht mehr.